Theologische Erklärungen

Studienausgabe

Aus dem Kommentar zum Westminster Bekenntnis
von Reinhold Widter

Artikel mit einem Stern* werden inhaltlich skizziert und sind noch nicht vollständig ausformuliert.

Artikel 1: Unfehlbarkeit und Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift*

Wir distanzieren uns von jeder Bibelkritik und lehnen daher Methoden wie die historisch-kritische grundsätzlich ab. Wir betrachten die 66 Bücher der Heiligen Schrift als souveräne Selbstoffenbarung des dreieinen Gottes, die keinem menschlichen Urteil unterworfen werden kann.
(WB, mit Anmerkungen: 1.1-10; unter Einbeziehung der ICBI-Erklärung von 1978)

Artikel 2: Das Wirken des Heiligen Geistes

2.1 Ein geschichtlich nicht wiederholbares Zeichen

Das Sprechen in unbekannten Sprachen („Zungenreden“) trat in der apostolischen Zeit auf und hatte einen bestimmten, zeichenhaften Charakter für die geschichtlich nicht wiederholbare Umbruchsphase vom Alten zum Neuen Bund. Dieser Zeitabschnitt dauerte etwa 100 Jahre, von der Geburt Christi bis zum Abschluß des neutestamentlichen Kanons.

2.2 Ein Zeichen an das alttestamentliche Bundesvolk

In diesem heilsgeschichtlichen Rahmen sollte dem Judentum ein Gerichtszeichen wegen seines Unglaubens vor Augen und Ohren gestellt werden: Indem der Heilige Geist „fremde“ Sprachen in die Anbetung Gottes einbezog , bestätigte der HERR selbst, daß nun auch die Heiden (als gottentfremdete, fremdsprachige Völker = „Zungen“) unter Erfüllung der alttestamentlichen Prophetie in sein Reich gerufen würden. Während der ungläubige Teil Israels Christus verwarf, wurden die bekehrten Heiden in den gläubigen Teil eingebunden (dieser blieb, wie die „Siebentausend“ zur Zeit Elias , als „Rest“ des alttestamentlichen Gottesvolkes „dank der Gnadenwahl“ übrig ), sodaß sich beide – Juden und Heiden – zum Israel des Neuen Bundes (WB 7,3.6) vereinigten .

2.3 Die heilsgeschichtliche Beglaubigung der Apostel

Diese zeichenhafte Gnadengabe („Charisma“) des Heiligen Geistes gehört in den Bereich jener übernatürlichen Phänomene, mit denen Gott seine Propheten und Apostel zur öffentlichen Beglaubigung der göttlichen Botschaft ausrüstete. „Wunder und Zeichen“ begleiteten im besonderen Maß einzelne Offenbarungsträger, wenn es darum ging, neue Offenbarung prophetisch zu vermitteln (wie z.B. im AT bei Mose – aber nicht bei allen Propheten; z.B. im NT bei Petrus und Paulus – und alle überragend, Jesus Christus ). Wie die Apostel als Offenbarungsträger, so erhielt auch die Gemeinde Jesu ein apostolisches Zeichen, das sie gegenüber dem abgefallenen Teil Israels mit göttlicher Beglaubigung auswies. Dieses Gerichtszeichen der „Zungenrede“ trat spontan und während jener Zeit auf, in der die Urkirche vom Judentum als „Sekte“ verfolgt und durch diesen göttlichen Beistand als das in Wahrheit gläubige Volk Israel ausgewiesen wurde. Mit dem Ende der heilsgeschichtlichen Wende und dem Anbruch des 2. Jahrhunderts verebbte diese Befähigung, denn einerseits war seit 70 n. Chr. der religiöse Monopolanspruch der Juden durch die Zerstörung des Tempels und die weltweite Zerstreuung gebrochen , andererseits lag mit der Jahrhundertwende Gottes Heilsplan völlig abgeschlossen offenbart und schriftlich vor (WB 1,1-2.6-7). Die außerordentliche göttliche Bestätigung war somit nicht mehr nötig. Sowohl die Heilswende als auch die Offenbarung des Neuen Bundes hatten ihren Abschluß gefunden.

2.4 Distanz zu geschichtsloser, ekstatischer Verfälschung

Durch die Jahrhunderte hindurch brachen hin und wieder ähnliche Phänomene in visionären, mystisch-ekstatischen Bewegungen auf, wie sie im übrigen auch in heidnischen Religionen vorkommen. Auch in unserem 20. Jahrhundert finden wir eine solche Strömung in den „Pfingstgemeinden“, „charismatischen Erneuerungsbewegungen“ und anderen Gruppierungen vor, deren Ursprung und Entwicklung äußerst fragwürdig erscheinen. In der Art und Weise ihrer theologischen Begründung übersehen deren Vertreter, daß bestimmte biblische Voraussetzungen zu ihrer Ausübung des „Zungenredens“ fehlen, denn:

(a) Diese Befähigung stellte in erster Linie ein Gerichtszeichen gegenüber dem ungläubigen Teil Israels in der einmaligen Heilswende vom Alten zum Neuen Bund dar.

(b) Sie ist kein Beleg für besondere Geistesfülle oder Bevollmächtigung; vielmehr ordnet sie Paulus (in der damals apostolischen Zeit) der mit dem Verstand überprüfbaren Verkündigung unter.

(c) Ein starker Aufbruch an göttlichen Beglaubigungszeichen steht grundsätzlich am Anfang und nicht am Ende einer Heilsepoche.

(d) Die häufig anzutreffende Nähe zum Medial-Okkulten (WB 9,3-A1b; 13,1-A1c), die Verflachung im dogmatischen Urteil und Aushöhlung wichtiger Glaubensaussagen, wie auch die Verdrängung Jesu aus dem Zentrum des Glaubens (WB 14,1) zugunsten „geistgewirkter“ Krafterweise und damit verbundener Wunder- und Zeichensucht rufen zu kritischer Distanz gegenüber solchen Gemeinden und Bewegungen auf.
(WB, mit Anmerkungen: 21.3; unter Einbeziehung der Berliner Erklärung von 1909)

Artikel 3: Schöpfung und Erhaltung der Welt*

Wir bekennen uns zur wörtlich verstandenen Schöpfungslehre und distanzieren uns von allen Erklärungsversuchen, welche die Entstehung der Welt als evolutionären Prozess beschreiben. In diesem Sinn weisen wir auch jede Art von „theistisch evolutionärer“ Sichtweise zurück.
(Zurückweisung der Evolutionshypothesen nach WB, mit Anmerkungen: 1.5 und 4.1-7.2)

Artikel 4: Schutz des Lebens*

Hier bekennen wir die Unantastbarkeit des ungeborenen, behinderten oder alten Lebens und sprechen uns gegen solche manipulative Eingriffe in die menschliche Genetik aus, durch welche der Mensch nach bestimmten ideellen Kriterien gezüchtet bzw. geklont werden soll. Wir weisen jeden Versuch zurück, wo sich der Mensch zum Schöpfer und Maßstab über Leben und Tod erhebt.
(Abtreibung, Euthanasie, eventuell mit angrenzenden Fragen wie Genmanipulation, Klonen usw. nach WB, mit Anmerkungen: 19.1-7 und 20,1-4)

Artikel 5: Ehe und Sexualität*

Wir distanzieren uns von jener gesellschaftlichen Entwicklung, die sexuelle Gemeinschaft außerhalb des Ehebundes und außerhalb der heterosexuellen Schöpfungsordnung zwischen Mann und Frau propagiert. Deshalb werden homosexuelle und lesbische, wie auch außereheliche Beziehungen als Sünde gegen Gottes heiliges Wesen verurteilt. Statt dessen betonen wir die bewahrenden Strukturen der christlichen Familie, wonach der Mann vor Gott in die primäre Verantwortung gestellt wird, für seine Frau und Kinder in Liebe zu sorgen.
(Schöpfungsordnung, Familie, Homosexualität usw. nach WB, mit Anmerkungen: 19.5 und 24.1-6)

Artikel 6: Missionarische Verantwortung*

Wir bekennen uns zur Souveränität Gottes, der sein Volk aus freier Gnade vor Grundlegung der Welt erwählt hat; ohne jedoch den Menschen seiner Verantwortung zu berauben. Wir spielen nicht das Geheimnis der doppelten Prädestination gegen die Verantwortung des Menschen aus, sondern lassen beide Aspekte in ihrer – für den menschlichen Verstand empfundenen – Paradoxie stehen. Deshalb sehen wir uns durch Gottes Ratschluß und Vorsehung in den Zeugenstand gerufen, allen Menschen an allen Orten, unter allen Völkern und Rassen, den ernsten Ruf Gottes bekanntzumachen, sie zur Umkehr von ihren Sünden aufzufordern, sich dem Evangelium der Liebe Gottes zu öffnen und Christus im Gehorsam zu dienen.
(einschließlich der Unterscheidung von Zueignung und Angebot des Heils, nach WB, mit Anmerkungen: 10.1 und Dordrechter Lehrsätze von 1619: II,A,5; III+IV,A,8-9)

Artikel 7: Ökumene*

Wir suchen die geistliche Einheit mit all jenen, die aus der Wahrheit des Evangeliums leben; meiden jedoch jede Zusammenarbeit mit solchen Kirchen, Organisationen oder Personen, die Irrlehren im heilsnotwendigen Fragen vertreten oder ihren Glauben über die Heilige Schrift hinaus an andere Offenbarungsquellen binden. Deshalb ist in Glaubensfragen keine Zusammenarbeit mit z.B. der römisch-katholischen Kirche, charismatisch oder bibelkritisch denkenden Personen möglich.
(WB, mit Anmerkungen: 9.3; 21.2 und 25.6; unter Einbeziehung der Berliner Ökumene-Erklärung von 1974)

Artikel 8: Eschatologie, Dispensationalismus, Millenium

8.1 Kein „Tausendjähriges Reich“ zwischen der Wiederkunft und dem Jüngsten Tag

Die Auferstehung des Leibes (Verwandlung) und das Gericht Gottes (Jüngster Tag) werden hier nach der Darstellung des Herrn in den Evangelien als ein Einheit verstanden. Die Heilige Schrift spricht von zwei verschiedenen Arten der Auferstehung (bzw. des Todes als Ausduck der Trennung von Gott): die „erste“ ist die Gemeinschaft der Erlösten mit Christus nach ihrem Tod, die „zweite“ ist die Auferstehung des Leibes zum Gericht (sowohl der Erlösten als auch der Gottlosen) . Zahlreiche, jedoch meist nur teilweise am reformatorischen Schriftverständnis orientierte Ausleger sind der Meinung, daß unmittelbar vor der Auferstehung des Leibes zum Gericht, eine bestimmte, nach Gottes Ratschluß festgelegte Zeitphase zu erwarten wäre . Darunter verstehen sie ein theokratisches Friedensreich am Ende der Zeit („tausendjähriges Reich“), durch das die Heilsgeschichte dieser Welt ihren Abschluß fände. In dieser Phase würde das verstockte, aber „nicht verworfene“ Judentum mit der Verkündigung des Evangeliums an die Völker beauftragt werden, nachdem es selbst Christus als den wahren Messias erkant habe.

8.2 Wir leben seit dem Keuzestod Christi im „Tausendjährigen Reich“

Aus dieser Sicht heraus wird übersehen:

(a) Jene an der Endzeit orientierten prophetischen Schriftstellen finden in der Offenbarung Christi und des Neuen Bundes (ntl. Gemeinde) ihre geistliche Wesensmitte und

(b) darin ihre geschichtliche Erfüllung.

(c) Der Herr selbst hat angekündigt, daß unmittelbar nach den Wehen der Endzeit (euthéos = sofort, sogleich) die Wiederkunft Christi und das Gericht erfolgen würden; deshalb werden wir ermahnt, darauf bedacht zu sein, daß uns „der Tag“ nicht wie ein Dieb überrasche . Dieser Hinweis Christi knüpft unmittelbar an die Schilderung vom Weltgericht in der Offenbarung des Johannes an und läßt keine Zeitspanne weitere tausend Jahre zu.

(d) Es beruht auf einem Mißverständnis, wenn vor einem vermuteten „Anbruch des tausendjährigen Reiches“ die Bekehrung des ganzen Volkes Israel erwartet wird . Die Schrift spricht nicht von einer erneuten Heilswende zurück zum Alten Bund (tausendjährige Theokraktie, Wiederaufnahme des Tempeldienstes usw.), sondern davon, daß Gott aus der Summe des verstockten jüdischen Volkes fortwährend einen Rest bekehrt , bis alle Juden seiner Gnadenwahl („ganz Israel“) wie auch alle auserwählten Heiden („die Fülle der Heiden“) gesammelt sind.

(e) Ein politisches Friedensreich auf Erden kann es auf Grund der sündhaften menschlichen Natur nicht geben (WB 6,4-6; 9,3; 23,2-A1b), deshalb muß das „Gebunden-Sein Satans“ bildhaft verstanden werden, indem es den Sieg Christi am Kreuz und die heiligenden Kraft seines Geistes veranschaulicht .

8.3 Keine spekulative Endzeittheologie

Über die eschatologischen (die letzten Dinge betreffenden) Aussagen urteilt die Schrift, daß deren Verständnis gegen das Ende der Zeit zunehmen wird – sofern es sich um eine Verknüpfung von Prophe-tie und jeweils zeitgeschichtlichen Ereignissen handelt (WB 25,6+A1). Die endzeitliche Prophetie läßt in diesem Rahmen keine Schlußfolgerungen zu, die über das Heilswerk Christi, seine neutestamentliche Gemeinde, seine Wiederkunft, das kommende Gericht und die Neuschöpfung des Himmels und der Erde hinausgehen. Wird diese Grenzziehung nicht anerkannt, so gerät die Gemeinde Jesu in den Einfluß willkürlicher Schriftauslegung und wird ihrer eigenen Verheißung als neutestamentliches Israel (WB 7,6; 11,6; 21,3+A1b-c; 28,4+A2a) beraubt. Die Kirchengeschichte belegt eindrücklich die Folgen, die sich aus einer Überschreitung der biblischen Rahmenbedingungen ergaben: mordende Kreuzzüge, schreckliche Auswüchse während der Reformationszeit (militantes Täufertum) sowie zahlreiche spekulative Theorien und Sektenbildungen.

Artikel 9: Okkultismus

9.1 Die Heiligkeit Gottes ist das Ziel

Die Heiligkeit Gottes ist Richtung, Sehnsucht und Endziel unseres Lebens. Gott ist heilig als Erlöser, heilig als Richter. Wie die sittliche Entartung (WB 24,2+A2b-c; 24,5+A1), so stellt auch jede okkulte Tätigkeit (WB 13,1-A1; 21,4+A1) eine Antastung der Heiligkeit Gottes dar.

9.2 Meiden der Grauzonen

Aus diesem Grund halten wir uns an die Regel, all jene Bereiche zu meiden, wo der Nachweis vorliegt oder der dringende Verdacht besteht, daß okkult-dämonische Einflüsse vorliegen. Das ist auch dann der Fall, wenn eine „menschliche Kraftquelle“ als wertneutrale oder sogar „göttliche“ Fähigkeit behauptet wird und die im System verborgenen oder geschichtlich bedingten okkulten Hintergründe verharmlost werden.

9.3 Medialität als zentrales Kennzeichen für okkulte Betätigung

Im Urteil über okkulte Praktiken bzw. (paramedizinische) Heilwirkungen geht es nicht im letzten darum, ob diese naturwissenschaftlich erklärbar sind oder nicht; vielmehr ist die Frage nach der Medialität zu stellen. Diese ist das zentrale Kennzeichen für okkulte Betätigung. Ist Medialität als Grenzüberschreitung der menschlichen Sinnesorgane im Spiel, so erfolgt eine außersinnliche Wahrnehmung, die nicht mehr als schöpfungsbedingte Fähigkeit des Menschen ausgewiesen werden kann, sondern von außen her (von den Mächten der Finsternis) in den Menschen hineingetragen wird. In diesem okkulten Rahmen „fühlt“ man sich in Krankheitsbilder, in unterirdische Wasseradern, in menschliches Geschick – ja selbst mystisch in das, was man „Gott“ nennt (WB 9,3+A1; 21,3+A1d) – hinein, „spürt“ intuitiv Gegenwärtiges und Zukünftiges heraus, wobei die spiritualistische Form der Medialität den gefährlichsten Grad darstellt.

9.4 Gott wirkt nicht durch innewohnende, mediale Kräfte

Der Christ weist keine medialen Eigenschaften auf. Was er im Glauben erkennt (bis hin zu den Visionen und Träumen der Apostel und Propheten), erfolgt nicht auf Grund erworbener Fähigkeiten, sondern wird von Gott selbst offenbart. Gott wirkt nicht medial „durch uns hindurch“, sondern auf Grund des von ihm gewirkten Vertrauens (Glaubens) außerhalb von uns in Form einer überprüfbaren, objektivierbaren Begegnung. Deshalb widerspricht es dem Wesen der göttlichen Offenbarung, geistliche Kraftwirkungen und Fähigkeiten auf mediale Weise (z.B. als „Weihe“) weiterzuvermitteln; hier berührt sich übrigens die röm.-kath. Theologie mit sogenannten „charismatischen“ Überzeugungen (WB 21,3+A1). Heilungen oder geistliche Befähigungen im Namen Christi erfolgen demnach nicht durch göttliche Kräfte, die „im“ Menschen sind, oder medial „durch ihn“ hindurchfließen und auf diese Weise „in“ den Menschen hineinkommen. Hier wird auch die okkulte Dimension der „naturwissenschaftlich“ oder religiös motivierten Paramedizin erkennbar, derzufolge „im Menschen schlummernde Heilkräfte“ durch verschiedene Methoden auf den Patienten übertragen werden sollen.

9.5 Gott wirkt selbst, gerufen durch den Glauben

Die Schrift kennt im Gegensatz dazu nur die Heilung durch Arzneien oder aber durch direktes Eingreifen Gottes – ohne die Zwischenstellung des Menschen als Medium. Sollte Gott direkte Heilung schaffen, so ausschließlich im Namen Christi durch den symbolischen Akt des Handauflegens , des Salbens oder des bloßen Gebets , wobei die Erwartungshaltung zum Ausdruck bringt, daß der erhöhte Herr selbst durch den Heiligen Geist von der Krankheit befreit. Gott der HERR ist der Handelnde, deshalb führt gottgewirkter Glaube unseren Blick nicht auf mediale, „verborgene Kräfte“ in uns, sondern – sehr nüchtern und ausschließlich – auf die im Wort Gottes verankerten Verheißungen.
(WB, mit Anmerkungen: 13.1)