- 12. Von der Annahme zur Kindschaft
- 13. Von der Heiligung
- 14. Vom rettenden Glauben
- 15. Von der Umkehr zum Leben
- 16. Von den guten Werken und ihrem Lohn
- 17. Von der Beharrung der Heiligen
- 18. Von der Gewißheit der Gnade und Erlösung
- 19. Von dem Gesetz Gottes
- 20. Von der Freiheit des Christen und seines Gewissens
- 21. Von dem Gottesdienst und dem Tag des Herrn
- 22. Von rechtmäßigen Eiden und Gelübden
12. Von der Annahme zur Kindschaft
Artikel 12.1
All denen, die gerechtfertigt sind, gewährt Gott in seinem einzigen Sohn Jesus Christus, und um seinetwillen, an der Gnade der Kindschaft (im Sinn einer Adoption) teilzuhaben: dadurch werden sie Kinder Gottes und genießen die entsprechenden Freiheiten und Vorrechte; Gottes Name wird auf sie gelegt, sie empfangen den Geist der Kindschaft und haben mit aller Zuversicht Zutritt zum Thron der Gnade; sie sind befähigt, „Abba“, Vater! zu rufen und werden durch ihn wie von einem Vater in Erbarmen gehüllt, geschützt, umsorgt und gestraft. Doch niemals werden sie verstoßen, sondern sie sind versiegelt auf den Tag der Erlösung und ererben die Verheißungen als Erben des ewigen Heils.
13. Von der Heiligung
Artikel 13.1
Diejenigen, die wirksam berufen und wiedergeboren sind, besitzen ein neues Herz und einen neuen Geist, beides in ihnen neu geschaffen. Sie werden weiterhin wirklich und persönlich geheiligt durch die Kraft des Todes und der Auferstehung Christi, durch sein Wort und seinen Geist, der in ihnen wohnt. Dabei wird die Herrschaft der Sünde gebrochen und die verschiedenen Begierden mehr und mehr geschwächt und getötet. So werden sie mehr und mehr erweckt und gestärkt durch all jene Gnadengaben, die zum Heil führen, damit sie wahre Heiligkeit1(a) Die Heiligkeit Gottes ist Richtung, Sehnsucht und Endziel unseres Lebens. Gott ist heilig als Erlöser, heilig als Richter. Wie die sittliche Entartung (WB 24,2+A2b-c; 24,5+A1), so stellt auch jede okkulte Tätigkeit (WB 13,1-A1; 21,4+A1) eine Antastung der Heiligkeit Gottes dar.
(b) Aus diesem Grund halten wir uns an die Regel, all jene Bereiche zu meiden, wo der Nachweis vorliegt oder der dringende Verdacht besteht, daß okkult-dämonische Einflüsse vorliegen. Das ist auch dann der Fall, wenn eine menschliche Kraftquelle“ als wertneutrale oder sogar göttliche“ Fähigkeit behauptet wird und die im System verborgenen oder geschichtlich bedingten okkulten Hintergründe verharmlost werden.
(c) Im Urteil über okkulte Praktiken bzw. (paramedizinische) Heilwirkungen geht es nicht im letzten darum, ob diese naturwissenschaftlich erklärbar sind oder nicht; vielmehr ist die Frage nach der Medialität zu stellen. Diese ist das zentrale Kennzeichen für okkulte Betätigung. Ist Medialität als Grenzüberschreitung der menschlichen Sinnesorgane im Spiel, so erfolgt eine außersinnliche Wahrnehmung, die nicht mehr als schöpfungsbedingte Fähigkeit des Menschen ausgewiesen werden kann, sondern von außen her (von den Mächten der Finsternis) in den Menschen hineingetragen wird. In diesem okkulten Rahmen fühlt“ man sich in Krankheitsbilder, in unterirdische Wasseradern, in menschliches Geschick – ja selbst mystisch in das, was man „Gott“ nennt (WB 9,3-A1; 21,3-A1d) – hinein, „spürt“ intuitiv Gegenwärtiges und Zukünftiges heraus, wobei die spiritualistische Form der Medialität den gefährlichsten Grad darstellt.
(d) Der Christ weist keine medialen Eigenschaften auf. Was er im Glauben erkennt (bis hin zu den Visionen und Träumen der Apostel und Propheten), erfolgt nicht auf Grund erworbener Fähigkeiten, sondern wird von Gott selbst offenbart. Gott wirkt nicht medial „durch uns hindurch“, sondern auf Grund des von ihm gewirkten Vertrauens (Glaubens) außerhalb von uns in Form einer überprüfbaren, objektivierbaren Begegnung. Deshalb widerspricht es dem Wesen der göttlichen Offenbarung, geistliche Kraftwirkungen und Fähigkeiten auf mediale Weise (z.B. als „Weihe“) weiterzuvermitteln; hier berührt sich übrigens die röm.-kath. Theologie mit sogenannten „charismatischen“ Überzeugungen (WB 21,3-A1). Heilungen oder geistliche Befähigungen im Namen Christi erfolgen demnach nicht durch göttliche Kräfte, die „im“ Menschen sind, oder medial „durch ihn“ hindurchfließen und auf diese Weise „in“ den Menschen hineinkommen. Hier wird auch die okkulte Dimension der „naturwissenschaftlich“ oder religiös motivierten Paramedizin erkennbar, derzufolge „im Menschen schlummernde Heilkräfte“ durch verschiedene Methoden auf den Patienten übertragen werden sollen. Die Schrift kennt im Gegensatz dazu nur die Heilung durch Arzneien oder aber durch direktes Eingreifen Gottes – ohne die Zwischenstellung des Menschen als Medium. Sollte Gott direkte Heilung schaffen, so ausschließlich im Namen Christi durch den symbolischen Akt des Handauflegens, des Salbens oder des bloßen Gebets, wobei die Erwartungshaltung zum Ausdruck bringt, daß der erhöhte Herr selbst durch den Heiligen Geist von der Krankheit befreit. Gott der HERR ist der Handelnde, deshalb führt gottgewirkter Glaube unseren Blick nicht auf mediale, „verborgene Kräfte“ in uns, sondern – sehr nüchtern und ausschließlich – auf die im Wort Gottes verankerten Verheißungen. ausleben, ohne die kein Mensch den Herrn sehen wird.
Artikel 13.2
Diese Heiligung erstreckt sich auf den ganzen Menschen, doch ist sie in diesem Leben unvollkommen (WB 9,5); denn es verbleiben in allen Bereichen noch einige Reste an Verderbnis. Daraus entspringt ein fortwährender und unversöhnlicher Kampf (WB 9,4; 17,3; 18,4; 19,6; 25,5), da das Fleisch gegen den Geist aufbegehrt und der Geist gegen das Fleisch.
Artikel 13.3
Obwohl in diesem Kampf die verbliebene Verderbnis eine Zeitlang auch vorherrschen mag, so gewinnt doch der wiedergeborene Teil durch die unaufhörliche Kraftzufuhr von dem heiligmachenden Geist Christi die Oberhand ; und so wachsen die Heiligen in der Gnade, indem sie ihre Heiligkeit (WB 13,1; 33,3) in der Furcht Gottes vervollkommnen.
14. Vom rettenden Glauben
Artikel 14.1
Die Gnadengabe des Glaubens, wodurch die Erwählten befähigt werden, zum Heil ihrer Seelen zu glauben, ist das Werk des Geistes Christi in ihren Herzen; nach der Ordnung Gottes (WB 1,1; 1,7; 5,3; 25,3; 30,1) bewirkt durch den Dienst des Wortes. Diese Gnadengabe wächst und wird gefestigt durch das Wort, durch Sakramentsverwaltung und Gebet.
Artikel 14.2
Wegen der Autorität Gottes, der darin spricht, hält ein Christ durch diesen Glauben für wahr, was auch immer im Wort geoffenbart ist und handelt danach (WB 3,3) auf verschiedene Art und Weise, je nachdem, was die einzelnen Schriftstellen beinhalten; so leistet er den Geboten Gehorsam, nimmt mit Erschrecken die Drohungen wahr und ergreift die Verheißungen Gottes für dieses und das zukünftige Leben. Der aktive, rettende Glaube gewinnt seine wichtigste Bedeutung darin, daß er Christus annimmt, ihn aufnimmt und in ihm allein zur Rechtfertigung, Heiligung und zum ewigen Leben aufgrund des Gnadenbundes Ruhe findet.
Artikel 14.3
Dieser Glaube weist verschiedene Grade auf, ob schwach oder stark; er kann oft und auf verschiedene Art und Weise angefochten und geschwächt sein, behält jedoch am Ende den Sieg. So wächst er in vielen (WB 18,4) bis zur Entfaltung einer vollen Gewißheit durch Christus, welcher der „Anfänger und Vollender“ unseres Glaubens ist.
15. Von der Umkehr zum Leben
Artikel 15.1
Die Umkehr zum Leben ist eine evangelische Gnadengabe; die Lehre davon muß von jedem Diener des Evangeliums gepredigt werden (WB 3,3; 10,1; 14,2), ebenso wie die vom Glauben an Christus.
Artikel 15.2
In der Umkehr ist ein Sünder dermaßen schmerzlich über seine Sünde betroffen und haßt sie so sehr, daß er sich davon abkehrt und Gott zuwendet. Dies geschieht sowohl deshalb, weil er die Gefahr der Sünden erkennt und auch das Widerwärtige und Ekelhafte der Sünden empfindet, die dem heiligen Wesen Gottes und seinem gerechten Gesetz widersprechen; als auch deshalb, weil die Barmherzigkeit in Christus nur von denen wahrgenommen wird, die beschämt umkehren. Daraus folgt, daß er beabsichtigt und sich bemüht, mit Gott nach der Richtlinie seiner Gebote zu leben.
Artikel 15.3
Obwohl man sich nicht auf die Umkehr2Weder Umkehr noch Glaube (WB 10,2) tragen in ihrer Eigenschaft als menschliche Verhaltensweisen („Werke“) die Erlösung in sich selbst; vielmehr stellen sie das Mittel des Heiligen Geistes dar, durch das er Schuld erkennen und Vergebung in Christus ergreifen läßt. verlassen soll, als würde sie die Sünde tilgen oder irgendwie deren Vergebung verursachen , was doch ein Werk von Gottes freier Gnade in Christus ist, so ist sie doch für alle Sünder dermaßen unentbehrlich, daß ohne sie niemand Vergebung erwarten darf.
Artikel 15.4
So wie keine Sünde zu geringfügig ist, als daß sie Verdammnis verdienen würde, so ist keine Sünde zu groß, als daß sie über die Verdammnis bringen könnte, die aufrichtig bereuen.
Artikel 15.5
Die Menschen sollten sich nicht mit einer allgemeinen Umkehr zufrieden geben, sondern es ist Pflicht jedes Menschen, um so mehr nach der Abkehr von einzelnen Sünden zu streben.
Artikel 15.6
Einerseits ist jeder Mensch verpflichtet, seine Sünden persönlich Gott zu bekennen und um deren Vergebung zu bitten, wobei er, wenn er sie meidet, Barmherzigkeit finden wird. Wer an seinem Bruder schuldig geworden ist oder in der Gemeinde Christi Anstoß erregt hat, soll andererseits bereit sein, den Betroffenen gegenüber seine Reue zu bezeugen. Dies soll durch ein privates oder öffentliches Bekenntnis und ein aufrichtiges Bedauern über seine Sünden geschehen; daraufhin sollen sich diejenigen, die verletzt worden sind, mit ihm versöhnen und ihn in Liebe aufnehmen.
16. Von den guten Werken und ihrem Lohn
Artikel 16.1
Gute Werke sind allein die, welche Gott in seinem heiligen Wort geboten hat, und nicht solche, die ohne dessen Vollmacht von Menschen aus blindem Eifer oder unter irgendeinem Vorwand guter Absichten erfunden worden sind.
Artikel 16.2
Diese guten Werke, getan im Gehorsam gegen Gottes Gebote, sind die Früchte und sichtbaren Folgen eines wahren und lebendigen Glaubens. Durch sie bringen die Gläubigen ihre Dankbarkeit zum Ausdruck, bekräftigen ihre Gewißheit, fördern ihre Brüder, zieren das Bekenntnis des Evangeliums, stopfen Gegnern den Mund und verherrlichen Gott; denn sie sind dessen Werkzeuge, dazu geschaffen in Christus Jesus, um als solche, die ihre Frucht in Heiligkeit bringen, zum Schluß das ewige Leben zu empfangen.
Artikel 16.3
Ihre Fähigkeit, Gutes zu tun, stammt keineswegs von ihnen selbst, sondern gänzlich vom Geist Christi. Damit sie dazu befähigt werden, ist neben den bereits empfangenen Gnadengaben (WB 9,4; 10,2; 17,2) ein direkter Einfluß desselben Heiligen Geistes erforderlich, um in ihnen das Wollen und das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen zu wirken. Doch dürfen sie dadurch nicht nachlässig werden, als ob sie keinerlei Aufgaben zu erfüllen hätten, außer auf ein besonderes Zeichen des Geistes hin; sondern sie sollen eifrig die Gnade Gottes entfachen, die in ihnen ist.
Artikel 16.4
Diejenigen, welche in ihrem Gehorsam die höchste Stufe erreichen, die in diesem Leben möglich ist, – sind weit davon entfernt, über das Pflichtmaß hinauszugehen und mehr zu tun, als Gott verlangt. Vielmehr bleiben sie bei weitem hinter dem zurück, was sie zu tun schuldig sind.
Artikel 16.5
Auch mit unseren besten Werken können wir nicht Vergebung der Sünden oder ewiges Leben bei Gott verdienen, – wegen des großen Mißverhältnisses zwischen ihnen und der kommenden Herrlichkeit, wie auch des unendlichen Abstands (WB 7,1) zwischen uns und Gott. Ihm können wir weder Nutzen schaffen noch für unsere zurückliegenden Sünden Sühne leisten, sondern wenn wir alles, was wir können, getan haben, haben wir nichts als unsere Pflicht getan und sind unnütze Knechte. Sind die Werke gut, so gehen sie vom Geist aus; werden sie aber von uns hervorgebracht, so sind sie mit so viel Schwachheit und Unvollkommenheit belastet und vermengt, daß sie vor der Strenge des göttlichen Gerichts (WB 11,3; 33,1-3) nicht bestehen können.
Artikel 16.6
Da die Personen der Gläubigen durch Christus dennoch angenommen sind, sind ihre guten Werke ebenfalls in ihm angenommen; nicht als ob sie in diesem Leben gänzlich untadelig und unsträflich in Gottes Augen wären. Vielmehr sieht er sie in seinem Sohn und läßt es sich gefallen, das anzunehmen und zu belohnen3Zum Thema „gute Werke“ und „Belohnung“ führt das Niederländische Glaubensbekenntnis von 1559 treffend aus: „Die Menschen können ohne den wahren Glauben, den der Heilige Geist durch das Hören auf das Wort Gottes gewirkt hat, niemals etwas aus Liebe zu Gott tun, sondern nur aus Eigenliebe und der Furcht vor Verdammnis. Durch den Glauben an Christus werden wir gerecht – bevor wir gute Werke tun. Denn sonst könnten unsere Werke nicht gut sein, ebensowenig wie die Früchte eines Baumes gut sein können, bevor der Baum selbst gut ist. So tun wir demnach gute Werke, ohne etwas damit zu verdienen. – Denn was könnten wir verdienen? – Ja, wir sind die guten Werke, die wir tun, Gott schuldig; Gott ist uns aber nichts schuldig; zumal Gott es ist, der ‚in uns wirkt das Wollen und das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen‘. Darum laßt uns achthaben auf das, was geschrieben steht: ‚Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sagt: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren‘.
Indessen wollen wir nicht leugnen, daß Gott die guten Werke belohnt – aber es ist durch seine Gnade, daß er seine Gaben krönt. Und, obwohl wir gute Werke tun, so gründen wir doch unsere Erlösung nicht darauf. Denn wir können kein Werk tun, das nicht durch unser Fleisch befleckt und strafbar wäre. Und könnten wir auch ein gutes Werk hervorbringen, so genügte es doch, daß Gott einer Sünde gedächte, um es zu verwerfen. So würden wir immer im Zweifel sein, ohne eigene Gewißheit (WB 18) hin und her getrieben, uns unsere armen Gewissen würden immer gequält werden, wenn sie sich nicht auf die Verdienste des Leidens und Sterbens unseres Heilands stützten“ (Artikel 24)., was aufrichtig ist, auch wenn es mit viel Schwachheit und Unvollkommenheit verbunden ist.
Artikel 16.7
Werke von nicht wiedergeborenen Menschen mögen ihrem Tatbestand nach Dinge sein, die Gott gebietet, und für sie selbst und andere von gutem Nutzen sein; doch sind sie weder in der rechten Weise – nämlich in Übereinstimmung mit dem Wort -, noch in der rechten Absicht – nämlich zur Ehre Gottes – getan worden, weil sie nicht von einem durch den Glauben gereinigten Herzen ausgehen. Deshalb sind diese Werke sündig und können Gott nicht gefallen (WB 9,3) oder einen Menschen würdig machen, um Gnade von Gott zu empfangen. Und doch ist es noch sündiger und verwerflich vor Gott, sie zu unterlassen.
17. Von der Beharrung der Heiligen
Artikel 17.1
Diejenigen, welche Gott in seinem Geliebten angenommen hat und die durch seinen Geist wirksam berufen und geheiligt sind, können weder völlig noch endgültig aus dem Stand der Gnade fallen; vielmehr werden sie mit Sicherheit darin beharren und auf ewig gerettet werden.
Artikel 17.2
Diese Beharrung der Heiligen beruht nicht auf ihrem eigenen Willen (WB 9,1-5), sondern auf dem unveränderlichen Ratschluß der Erwählung, der aus der freien und unwandelbaren Liebe Gottes des Vaters entspringt, und darauf, daß Jesus Christus durch sein Verdienst für sie wirksam eintritt, der Heilige Geist und das lebendige Wort Gottes in ihnen bleibt, wie auch auf der Natur des Gnadenbundes; aus dem allen entsteht auch die Gewißheit und vollkommene Zuversicht darüber.
Artikel 17.3
Dennoch können sie durch die Versuchungen des Satans und der Welt, wenn die in ihnen verbliebene Verderbnis (WB 9,4; 13,1-3; 18,4; 19,6; 25,5) überhandnimmt und die Mittel zu ihrer Bewahrung mißachtet werden, in schwere Sünde fallen und eine Zeitlang darin stecken bleiben. Dadurch geraten sie unter Gottes Mißfallen, betrüben seinen Heiligen Geist, verlieren einen guten Teil ihrer Gnadengaben und des Trostes, bekommen verhärtete Herzen und verwundete Gewissen, verletzten andere und erregen Anstoß und ziehen zeitliche Gerichte auf sich.
18. Von der Gewißheit der Gnade und Erlösung
Artikel 18.1
Heuchler und andere nicht wiedergeborene Menschen mögen sich selbst mit falschen Hoffnungen und menschlicher Vermessenheit betrügen, in der Gnade Gottes und im Stand des Heils zu sein – was nur darauf hinausführt, daß ihre Hoffnung zunichte werden wird; diejenigen jedoch, die wahrhaftig an den Herrn Jesus glauben, ihn aufrichtig lieben und sich bemühen, in einem guten Gewissen vor ihm zu leben, können in diesem Leben fest versichert sein, daß sie sich im Stand der Gnade befinden – und sich in der Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes freuen, in einer Hoffnung, die sie niemals beschämen wird.
Artikel 18.2
Diese Gewißheit ist nicht eine bloß mutmaßliche und wahrscheinliche Meinung, die sich auf eine fehlbare Hoffnung stützt, sondern eine unfehlbare Glaubensgewißheit, die sich auf die göttliche Wahrheit der Heilsverheißungen gründet, auf die innere Beglaubigung jener Gnadengaben, die in diesen Verheißungen eingeschlossen sind, und auf das Zeugnis des Geistes der Kindesannahme (WB 12), der unserem Geiste bezeugt, daß wir Kinder Gottes sind; denn dieser Geist ist das Unterpfand unseres Erbes, mit dem wir auf den Tag der Erlösung hin versiegelt sind.
Artikel 18.3
Diese unfehlbare Gewißheit sieht ihrem Wesen nach nicht so aus, daß ein wahrer Gläubiger lange warten müßte und mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen hätte, ehe er an ihr teilhaben kann. Da er statt dessen vom Geist die Befähigung erhalten hat zu wissen, was ihm von Gott freiwillig gegeben ist, kann er diese Gewißheit schon jetzt durch den Gebrauch der schriftgemäßen Mittel – und ohne außerordentliche Offenbarung – erlangen. Deshalb ist jeder Mensch verpflichtet, sich umso mehr zu bemühen, seine Berufung und Erwählung fest zu machen, damit sein Herz mit Friede und Freude im Heiligen Geist, mit Liebe und Dankbarkeit zu Gott und mit Kraft und Zuversicht, um den Pflichten im Gehorsam nachzukommen, erfüllt wird; das sind die eigentlichen Früchte dieser Gewißheit und, wie sich zeigt, sind sie weit davon entfernt, Menschen zur Nachlässigkeit zu verleiten.
Artikel 18.4
Die Heilsgewißheit wahrer Gläubiger kann auf verschiedene Weise erschüttert, geschwächt und unterbrochen werden. Das kann durch Nachlässigkeit, sie zu erhalten, geschehen, oder dadurch, daß man in einer besonderen Sünde verharrt, die das Gewissen verletzt und den Geist Gottes betrübt, auch durch plötzliche und heftige Versuchungen oder durch den Umstand, daß Gott das Licht seines Angesichtes abwendet, sodaß die, die Gott fürchten, doch im Dunkeln tappen und kein Licht haben. Dennoch sind sie niemals völlig dem Wort Gottes (das wie ein Saatkorn in ihnen verborgen liegt) und dem Glaubensleben entfremdet, auch fehlt ihnen die Liebe zu Christus und zu den Brüdern oder ein letzter Rest an Aufrichtigkeit und Pflichtgefühl nicht völlig. Durch all das werden sie in dieser Zwischenzeit aufrechterhalten und vor völliger Verzweiflung bewahrt, bis die angefochtene Gewißheit durch das Eingreifen des Geistes zur rechen Zeit neu belebt wird.
19. Von dem Gesetz Gottes
Artikel 19.1
Gott hat Adam ein Gesetz gegeben als einen Bund der Werke, durch den er ihn und seine gesamte Nachkommenschaft zum persönlichen, umfassenden, genauen und stetigen Gehorsam verpflichtet, Leben für seine Erfüllung verheißen und Tod bei seinem Bruch angedroht und ihn mit der Kraft und Fähigkeit ausgestattet hat, es zu halten.
Artikel 19.2
Dieses Gesetz blieb nach Adams Fall weiterhin als ein vollkommener Maßstab der Gerechtigkeit erhalten und wurde als solcher von Gott auf dem Berge Sinai in den zehn Geboten (HK 92; WB 19,3.5) übergeben und auf zwei Tafeln aufgeschrieben; die ersten vier Gebote enthalten unsere Pflichten gegenüber Gott, die anderen sechs unsere Pflichten gegenüber den Menschen.
Artikel 19.3
Neben diesem Gesetz, allgemein das Sittengesetz genannt, hatte es Gott gefallen, dem Volk Israel als einer minderjährigen Kirche Zeremonialgesetze zu geben, die aus verschiedenen Anordnungen zur Ausübung symbolischer Handlungen bestanden. Diese bezogen sich teils auf den Gottesdienst, wobei Christus und seine Gnadengaben, Handlungen, Leiden und Wohltaten im voraus abgebildet wurden, teils stellten sie verschiedene Anweisungen für sittliche Pflichten dar. Alle diese Zeremonialgesetze sind jetzt unter dem Neuen Testament aufgehoben.
Artikel 19.4
Dem alttestamentlichen Bundesvolk gab er als einer politischen Körperschaft auch besondere Rechtsvorschriften; diese haben allerdings, zusammen mit dem Zusammenbruch des jüdischen Staates (WB 21,3; 32,2) ihre Gültigkeit verloren und binden jetzt niemanden mehr über das hinaus, was zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung erforderlich sein mag.
Artikel 19.5
Das Sittengesetz verpflichtet für immer alle Menschen, seien sie gerechtfertigt oder nicht, zum Gehorsam – und zwar nicht nur im Hinblick auf die in ihm enthaltenen Dinge, sondern auch im Hinblick auf die Autorität Gottes, des Schöpfers, der es gegeben hat. Diese Verpflichtung löst Christus im Evangelium auch nicht irgendwie auf, sondern verstärkt sie vielmehr.
Artikel 19.6
Wahre Gläubige sind zwar nicht unter dem Gesetz als einem „Bund der Werke“, um dadurch gerechtfertigt oder verurteilt zu werden. Trotzdem ist das Gesetz für sie wie auch für andere von großem Nutzen; denn es weist als Lebensregel die rechte Richtung, indem es ihnen Auskunft über den Willen Gottes und ihre Pflichten gibt, und verpflichtet sie zu einer entsprechenden Verhaltensweise; es deckt auch die sündhaften Verunreinigungen ihrer Natur, ihrer Herzen und ihrer Lebensführung auf. Wenn sie sich daran prüfen, hat das zur Folge, daß ihnen ihre Sünde bewußt wird, die sie dann als Demütigung empfinden und zu hassen beginnen; damit verbunden wächst in ihnen die Einsicht, wie nötig sie Christus haben und den vollkommenen Gehorsam, den er (WB 8,1-8; 11,1) geleistet hat. Im weiteren dient das Gesetz für die Wiedergeborenen auch dazu, ihre (angeborene) Verdorbenheit dadurch in Schranken zu halten, daß es Sünde verbietet. Seine Drohungen dienen dazu zu zeigen, was ihre Sünden verdienen und welche Nöte sie dafür in diesem Leben zu erwarten haben, obwohl sie von dem diesbezüglich im Gesetz angedrohten Fluch befreit sind. Seine Verheißungen zeigen ihnen in ähnlicher Weise Gottes Wohlgefallen am Gehorsam und welche Segnungen sie bei seiner Erfüllung erwarten dürfen; doch nicht so, als wäre es ihnen Gott durch das Gesetz als einem „Bund der Werke“ schuldig; auch besagt es nicht, daß ein Mensch (bloß) unter dem Gesetz und (noch) nicht unter der Gnade lebt, wenn er Gutes tut und Böses unterläßt, weil das Gesetz zum einen aufmuntert und vom anderen abschreckt.
Artikel 19.7
Ebensowenig steht die zuvor erwähnte Anwendung des Gesetzes im Widerspruch zur Gnade des Evangeliums; vielmehr stimmt sie damit harmonisch überein, indem der Geist Christi den Willen des Menschen anleitet und befähigt, das freiwillig und mit Freude zu tun, was der im Gesetz geoffenbarte Wille Gottes zu tun erfordert.
20. Von der Freiheit des Christen und seines Gewissens
Artikel 20.1
Die Freiheit, die Christus den Gläubigen unter dem Evangelium erworben hat, besteht in dem Freispruch von der Schuld der Sünde, von dem verdammenden Zorn Gottes, dem Fluch des Sittengesetzes und in ihrer Befreiung von dieser gegenwärtigen bösen Welt, der Knechtschaft des Satans und der Herrschaft der Sünde, von dem Übel der Nöte, dem Stachel des Todes, dem Sieg über das Grab und die ewige Verdammnis, sowie in ihrem freien Zugang zu Gott und ihrem eifrigen Gehorsam gegen ihn, nicht aus knechtischer Furcht, sondern aus kindlicher Liebe und in einer Haltung herzlicher Bereitschaft. Alles dies war zwar auch den Gläubigen unter dem Gesetz eigen; aber unter dem Neuen Testament ist die Freiheit der Christen durch die Befreiung vom Joch des Zeremonialgesetzes (WB 19,3), dem die jüdische Kirche unterworfen war, weiter ausgedehnt worden; so erlaubt sie auch den Zutritt zum Thron der Gnade mit größerer Zuversicht und zeichnet sich durch umfassendere Mitteilungen des freien Geistes Gottes aus, als sie die Gläubigen unter dem Gesetz normalerweise empfingen.
Artikel 20.2
Gott allein ist Herr des Gewissens und hat es von menschlichen Lehren und Geboten4Die Lehre der Schrift und das Gebot Gottes allein binden unser Gewissen; nicht jedoch solche Kriterien, die der Mensch durch außerbiblische religiöse Traditionen, durch den Zerfall biblischer Wertmaßstäbe nach seinem subjektiven Urteil oder durch eine politisch-ideologisierte Gesellschaft als ethisch verbindlich erklärt. freigestellt, wenn sie bezüglich Glaube und Gottesverehrung irgendwie seinem Wort widersprechen oder es umgehen. Unter Berufung auf das Gewissen, solchen (falschen menschlichen) Lehren zu glauben und ihren Geboten zu gehorchen, bedeutet daher, die wahre Freiheit des Gewissens zu verraten. So führt die Forderung nach einem blinden Glauben und einem absoluten und bedingungslosen Gehorsam dazu, daß die Freiheit des Gewissens und der Vernunft zerstört wird.
Artikel 20.3
Wer unter dem Vorwand christlicher Freiheit irgendwelche Sünden begeht oder irgendeiner triebhaften Neigung nachgeht, zerstört den Sinn und Zweck der christlichen Freiheit; denn dieser besteht darin, daß wir, befreit aus den Händen unserer Feinde (WB 13,1-3; 17,3), dem Herrn ohne Furcht in Heiligkeit und Gerechtigkeit dienen sollen – alle Tage unseres Lebens.
Artikel 20.4
Weil die Gewalten, die Gott verordnet hat, und die Freiheit, die Christus erworben hat, sich nach Gottes Absicht nicht gegenseitig zerstören, sondern sich gegenseitig erhalten und bewahren sollen, widerstreben diejenigen der Ordnung Gottes, die sich unter dem Vorwand christlicher Freiheit irgendeiner rechtmäßigen Ausübung dieser Gewalt widersetzen, sei es die staatliche oder die kirchliche. Dafür, dass sie solche Meinungen öffentlich vertreten oder solche Handlungen aufrechterhalten, die dem Licht der Natur, den bekannten Grundsätzen des Christentums (gleich ob bezüglich des Glaubens, des Gottesdienstes oder des Wandels) oder der Kraft der Gottseligkeit entgegenstehen, oder auch für solche irrigen Meinungen oder Handlungsweisen, die entweder ihrer eigenen Natur nach oder in der Art und Weise, wie sie öffentlich vertreten oder aufrecht erhalten werden, den äußeren Frieden und die Ordnung zerstören, die Christus in der Kirche festgesetzt hat, dürfen sie rechtmäßig zur Rechenschaft gezogen werden. Man darf mit Kirchenzucht (WB 30,3-4) gegen diese Dinge vorgehen.
21. Von dem Gottesdienst und dem Tag des Herrn
Artikel 21.1
Die natürliche Offenbarung (WB 1,1) zeigt, daß es einen Gott gibt, der über alles absolute Gewalt besitzt und herrscht, der gut ist und jedem Menschen seine Güte (WB 2,1) erweist; deshalb sollen wir ihn auch fürchten, lieben, loben, anrufen, ihm vertrauen und dienen – und zwar von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit allen Kräften. Doch wie der wahre Gott in der Weise verehrt werden soll, daß er es auch annehmen kann, ist von ihm selbst bestimmt worden und so an seinen eigenen, geoffenbarten Willen gebunden, daß er nicht nach den Einbildungen und Einfällen von Menschen oder nach den Eingebungen Satans verehrt werden kann, auch nicht unter irgendwelchen Formen einer sichtbaren Darstellung Gottes (WB 21,2; 29,6.7) oder auf eine sonstige, nicht in der Heiligen Schrift vorgeschriebene Weise.
Artikel 21.2
Religiöse Verehrung gebührt Gott, dem Vater, Sohn und Heiligen Geist; und ihm allein: nicht Engeln, Heiligen5(a) Die religiöse Verehrung der „Heiligen“ oder Marias im Gebet, durch Fürbitte und Lobpreis verdrängt Jesus Christus aus dem Zentrum des Glaubens, der ihn allein ergreift, und entwertet seine Mittlerschaft zwischen Gott und den Menschen. Sie stellt eine verhängnisvolle Aufwertung des sündhaften Menschen dar; denn jeder Mensch, einschließlich sogenannter „Heiliger“ und Marias, ist ohne Ausnahme seinem Wesen nach Sünder. Gottes Vergebung wird völlig unverdient geschenkweise in Jesus Christus empfangen (WB 9,3+A1; 11,2-3; 14,2; 15,3+A1), nicht aber durch menschliche Verdienste oder Vermittlung. Daher ist es unmöglich, daß sie „Gnade“ vermitteln könnten, und sinnlos, sie zu diesem Zweck anzurufen. Was allein dem dreieinigen Gott vorbehalten ist, liegt nicht in der Machtbefugnis des Menschen, wie nahe er Gott auch stehen mag. „Heilige“ und Maria können Vorbilder sein, was jedoch darüber hinausgeht, tastet Gottes Ehre an; denn der Herr spricht von seinem Sohn: Ich will meine Ehre keinem anderen geben!
(b) Die religiöse Verehrung der „Heiligen“ und Marias entspricht religionsgeschichtlich der Anbetung heidnischer Lokalgottheiten (HK 30; 92; 94-98; WB 21,1). Wie dies in alttestamentlicher Zeit – in verwirrend frommer Aufmachung – unter sprachlicher Rückbeziehung auf biblische Begriffe und Kulthandlungen geschah, so auch im Verlauf der neutestamentlichen Kirchengeschichte mit christlichen Namen und Begriffen. Dem gegenüber führt uns die Schrift zu einer Haltung, die nicht den Geschöpfen, sondern dem Schöpfer allein die Ehre gibt. Es steht geschrieben: Gebt unserem Gott allein die Ehre! oder irgendeiner anderen Kreatur. Diese kann seit dem Sündenfall nicht ohne einen Mittler oder durch die Vermittlung eines anderen erfolgen – als allein durch Christus.
Artikel 21.3
Gebet, verbunden mit Danksagung, gilt vor Gott als ausdrückliche Pflicht und wird im Rahmen der Gottesverehrung von allen Menschen gefordert. Damit er es annehmen kann, soll es im Namen des Sohnes durch den Beistand des Geistes in Übereinstimmung mit seinem Willen geschehen, mit Verstand, Ehrerbietung, Demut, Eifer, Glauben, Liebe und Ausdauer und, wenn mit hörbaren Worten, in einer bekannten Sprache6(a) Das Sprechen in unbekannten Sprachen („Zungenreden“) trat in der apostolischen Zeit auf und hatte einen bestimmten, zeichenhaften Charakter für die geschichtlich nicht wiederholbare Umbruchsphase vom Alten zum Neuen Bund. Dieser Zeitabschnitt dauerte etwa 100 Jahre, von der Geburt Christi bis zum Abschluß des neutestamentlichen Kanons.
(b) In diesem heilsgeschichtlichen Rahmen sollte dem Judentum ein Gerichtszeichen wegen seines Unglaubens vor Augen und Ohren gestellt werden: Indem der Heilige Geist „fremde“ Sprachen in die Anbetung Gottes einbezog, bestätigte der HERR selbst, daß nun auch die Heiden (als gottentfremdete, fremdsprachige Völker = „Zungen“) unter Erfüllung der alttestamentlichen Prophetie in sein Reich gerufen würden. Während der ungläubige Teil Israels Christus verwarf, wurden die bekehrten Heiden in den gläubigen Teil eingebunden (dieser blieb, wie die „Siebentausend“ zur Zeit Elias, als „Rest“ des alttestamentlichen Gottesvolkes „dank der Gnadenwahl“ übrig ), sodaß sich beide – Juden und Heiden – zum Israel des Neuen Bundes (WB 7,3.6) vereinigten.
(c) Diese zeichenhafte Gnadengabe („Charisma“) des Heiligen Geistes gehört in den Bereich jener übernatürlichen Phänomene, mit denen Gott seine Propheten und Apostel zur öffentlichen Beglaubigung der göttlichen Botschaft ausrüstete. „Wunder und Zeichen“ begleiteten im besonderen Maß einzelne Offenbarungsträger, wenn es darum ging, neue Offenbarung prophetisch zu vermitteln (wie z.B.. im AT bei Mose – aber nicht bei allen Propheten; z.B. im NT bei Petrus und Paulus – und alle überragend, Jesus Christus ). Wie die Apostel als Offenbarungsträger, so erhielt auch die Gemeinde Jesu ein apostolisches Zeichen, das sie gegenüber dem abgefallenen Teil Israels mit göttlicher Beglaubigung auswies. Dieses Gerichtszeichen der „Zungenrede“ trat spontan und während jener Zeit auf, in der die Urkirche vom Judentum als „Sekte“ verfolgt und durch diesen göttlichen Beistand als das in Wahrheit gläubige Volk Israel ausgewiesen wurde. Mit dem Ende der heilsgeschichtlichen Wende und dem Anbruch des 2. Jahrhunderts verebbte diese Befähigung, denn einerseits war seit 70 n. Chr. der religiöse Monopolanspruch der Juden durch die Zerstörung des Tempels und die weltweite Zerstreuung gebrochen, andererseits lag mit der Jahrhundertwende Gottes Heilsplan völlig abgeschlossen offenbart und schriftlich vor (WB 1,1-2.6-7). Die außerordentliche göttliche Bestätigung war somit nicht mehr nötig. Sowohl die Heilswende als auch die Offenbarung des Neuen Bundes hatten ihren Abschluß gefunden.
(d) Durch die Jahrhunderte hindurch brachen hin und wieder ähnliche Phänomene in visionären, mystisch-ekstatischen Bewegungen auf, wie sie im übrigen auch in heidnischen Religionen vorkommen. Auch in unserem 20. Jahrhundert finden wir eine solche Strömung in den „Pfingstgemeinden“, „charismatischen Erneuerungsbewegungen“ und anderen Gruppierungen vor, deren Ursprung und Entwicklung äußerst fragwürdig erscheinen. In der Art und Weise ihrer theologischen Begründung übersehen deren Vertreter, daß bestimmte biblische Voraussetzungen zu ihrer Ausübung des „Zungenredens“ fehlen, denn:
(1) Diese Befähigung stellte in erster Linie ein Gerichtszeichen gegenüber dem ungläubigen Teil Israels in der Heilswende vom Alten zum Neuen Bund dar.
(2) Sie ist kein Beleg für besondere Geistesfülle oder Bevollmächtigung; vielmehr ordnet sie Paulus (in der damals apostolischen Zeit) der mit dem Verstand überprüfbaren Verkündigung unter.
(3) Ein starker Aufbruch an göttlichen Beglaubigungszeichen steht grundsätzlich am Anfang und nicht am Ende einer Heilsepoche.
(4) Die häufig anzutreffende Nähe zur Ökumene, zum Medial-Okkulten (WB 9,3-A1b; 13,1-A1c), die Verflachung im dogmatischen Urteil und Aushöhlung wichtiger Glaubensaussagen, wie auch die Verdrängung Jesu aus dem Zentrum des Glaubens (WB 14,1) zugunsten „geistgewirkter“ Krafterweise und damit verbundener Wunder- und Zeichensucht rufen zu kritischer Distanz gegenüber solchen Gemeinden und Bewegungen auf..
Artikel 21.4
Gebetet soll werden für rechtmäßige Dinge und für alle Menschen, die jetzt leben oder künftig leben werden; nicht aber für die Toten7a) Das Gebet für die Toten entbehrt jeder Schriftgrundlage, denn nach dem Tod erfährt der Mensch entweder die ungebrochene Gemeinschaft mit Jesus Christus oder die Verdammnis. Nach dem Tod gibt es keine Möglichkeit der Umkehr mehr, deshalb hat das Gebet für Verstorbene auch keinen Sinn.
(b) Das Gebet zu Toten wird in der Heiligen Schrift in keiner Weise als Ausdruck einer legitimen, ungebrochenen Gemeinschaft zwischen der diesseitigen und jenseitigen Welt ausgewiesen. Vielmehr wird der Tod als eine Scheidewand beschrieben, die nicht durchbrochen werden darf; wird sie – aus welchen Motiven auch immer – durchbrochen, so begibt man sich auf die mediale Ebene des Spiritismus (WB 13,1-A1c), „Götzendienstes“, der „Greuelsünde“ vor dem heiligen Gott. Dasselbe gilt auch für religiöse Verehrung der verstorbenen „Heiligen“ oder Marias (WB 9,3-A1d; 21,2+A1; HK 30; 94-98)., auch nicht für die, von denen man wissen mag, daß sie die Sünde zum Tode begangen haben.
Artikel 21.5
Ein rechter öffentlicher Gottesdienst besteht unter anderem (WB 21,6) aus: dem Lesen der Schrift mit Gottesfurcht; der gesunden Wortverkündigung und dem gewissenhaften Hören des Wortes im Gehorsam gegen Gott mit Verstand, Glauben und Ehrerbietung; aus dem Singen von Psalmen, (Lobgesängen und geistlichen Liedern) das von Herzen kommt; ebenfalls aus der rechten Verwaltung und dem würdigen Empfang der von Christus eingesetzten Sakramente. Zu besonderen Anlässen und verschiedenen Zeiten gehören auch Eide, Gelübde, öffentliches Fasten und Dankfeste dazu, die in einer heiligen und gottesfürchtigen Weise abgehalten werden sollen.
Artikel 21.6
Unter dem Evangelium ist weder das Gebet noch irgend etwas anderes im Rahmen der Gottesverehrung an irgendeinen Ort gebunden – an dem es vollzogen oder auf den es bezogen wird -, noch wird es dadurch annehmbarer für Gott. Vielmehr soll Gott überall „im Geist und in der Wahrheit“ angebetet werden; sowohl täglich im privaten Familienkreis und von einem jeden gesondert für sich, als auch umso ernsthafter in den öffentlichen Versammlungen, welche nicht sorglos oder mutwillig mißachtet oder verlassen (HK 54-55; 103; WB 26,1-3) werden sollen, da ja Gott durch sein Wort bzw. seine Vorsehung uns dazu aufruft.
Artikel 21.7
Wie es in der Schöpfung begründet liegt, so hat Gott in seinem Wort einen der sieben Wochentage zum Ruhetag bestimmt, der für ihn heilig gehalten werden soll. Dies ist ein ausdrückliches, sittliches und dauerhaftes Gebot, das alle Menschen zu allen Zeiten bindet8(a) Der Gottesdienst in den Synagogen war im mosaischen Gesetz nicht vorgeschrieben. Er entstand wahrscheinlich durch die Babylonische Gefangenschaft, als der Tempel zerstört und ein Opferdienst nicht möglich war. Zur Zeit Jesu war der synagogale Gottesdienst in der Diaspora und im Land Kanaan üblich geworden, wobei auch Jesus dieser Gewohnheit nachging und auf diese Weise den Sabbat mit Schriftlesung und Predigt verband. Der neutestamentliche Gottesdienst griff auf dieses Vorbild zurück, wobei die apostolische Urkirche den Sabbat auf den Auferstehungstag Christi (Sonntag) verlegte.
(b) Ein direktes Gebot, wann und wie der Sabbat im Neuen Bund zu feiern wäre, gibt es im Neuen Testament nicht. Obwohl die Wahl des Sonntags zum „Tag des Herrn“ in der Folge christliches Allgemeingut wurde, erfuhr die Sonntagsheiligung in den ersten Jahrhunderten zum Teil durch den bewußten Gegensatz zu den Juden (so die Kirchenväter), zum Teil wegen der ständigen Verfolgung durch den Staat keine Befolgung im streng alttestamentlichen Sinn. Erst seit Kaiser Konstantin wurde der Sonntag nach und nach zum arbeitsfreien Staatsfeiertag (ab 321). Die Abgrenzung zum jüdischen Zeremonialgesetz (WB 19,3) und das Fehlen direkter Anweisungen im Neuen Testament veranlaßte auch die Reformatoren, dem Sonntag zwar den Vorrang einzuräumen (HK 103), doch grundsätzlich die Wahl des Tages freizustellen (Luther: Großer Katechismus I,3,85; Calvin: Institutio II,8,34). Ihnen zufolge liegt der Sinn des 4. Gebotes darin, „die rechtmäßigen Ordnungen der Kirche zu wahren, Gottes Wort zu hören, ihn zu loben und anzubeten, die Sakramente zu spenden“ und darin, daß „wir unsere Untergebenen nicht unmenschlich bedrücken“.
(c) Das Sabbatgebot stellt Gottes erste Stiftung für den Menschen dar. Sie umfaßt in geistlicher (Punkt 1 und 2) und sozialer Hinsicht (Punkt 3) sowohl den Alten als auch den Neuen Bund und weist drei Aspekte auf:
1. Die geistliche Ruhe und innere Ausrichtung auf den Herrn. Gott will, daß wir durch das 4. Gebot stets neu nach ihm fragen und sein Heil suchen. Das Sabbatgebot weist schon im Alten Testament auf Jesus Christus hin, der uns aus der „Sklaverei Ägyptens bzw. der Sünde “ befreit hat. Insofern findet es, wie das gesamte mosaische Gesetz, in Christus sein „Ende“. Die Erfüllung in Christus bedeutet jedoch nicht, daß die 10 Gebote des Dekalogs ihre Gültigkeit verloren hätten. Es ist vielmehr so, daß sie im Licht des Evangeliums eine Verschärfung (WB 19,5) erfahren (siehe Bergpredigt). Spricht das 4. Gebot prophetisch von unserer Befreiung und Erlösung, so klingt in ihm jene ewige Ruhe an, jener göttliche Frieden, den uns Gott im Heilswerk Christi anbietet. Daraus folgt: Wer das Evangelium ergriffen hat und durch Christus mit Gott versöhnt lebt, der befindet sich geistlich gesehen in einer „beständigen Sabbatruhe“, die sich über alle Tage der Woche bis in alle Ewigkeit erstreckt.
2. Die gottesdienstliche Versammlung. So wie der Herr sich den Gottesdienstbesuch zur Gewohnheit gemacht hat, so ist diese Gewohnheit auch die Richtschnur für unser Verhalten. Es hat dem Herrn gefallen, auf diese Weise das 4. Gebot mit der Predigt des Wortes zu verknüpfen. Die Erfüllung des Opferdienstes im Tempel oder die Versammlung in den Synagogen zielte bereits im Alten Bund darauf hin ab, daß die geistlichen Inhalte im Glauben ergriffen werden sollten (Annahme der Vergebung durch die symbolischen Opfer, Zuspruch des Wortes Gottes usw.) Die äußere Zusammenkunft (Sabbatheiligung) führte durch das Hören und Befolgen des Wortes Gottes zum Frieden mit Gott (zur inneren Sabbabtruhe). Die äußere Ruhe verhalf zur inneren. Für die neutestamentliche Gemeinde gewinnt das Sabbatgebot im regelmäßigen Gottesdienst dieselbe Bedeutung. Wenngleich alle gottesdienstlichen Feste – im Alten wie im Neuen Bund – auf Grund ihrer zeremoniellen Wesensart nur zeichenhaft auf Christus hinweisen, so sind sie doch unentbehrlich, damit sich die Gläubigen durch die Verkündigung des Evangeliums gegenseitig stärken können und den Glauben an Jesus Christus bewahren. Es hängt deshalb mit dem 4. Gebot zusammen, wenn uns das Neue Testament dazu auffordert, nicht mutwillig von den Gottesdiensten fern zu bleiben („die Versammlungen nicht zu verlassen“).
3. Die Ruhe zur Erholung von der Arbeit. Hat Gott am 7. Tag „von all seinen Werken geruht“, so liegt es in dieser Schöpfungsordnung begründet, daß auch der Mensch von seiner Arbeit ruhen soll. Darin kommt die gesellschaftspolitische, soziale Bedeutung des Gebotes zum Ausdruck. Seine Mißachtung führt zwangsläufig zur materialistischen Ausbeutung des Menschen. Allerdings hängt die Aufrechterhaltung des Gebots im Sinn eines arbeitsfreien Feiertages von der staatlichen Rechtslage ab; wird dies vom Staat verweigert, so fordert uns die Schrift auf, um Christi willen das entzogene göttliche Recht nicht widerrechtlich in Anspruch zu nehmen, das Unrecht zu erleiden und abzuwarten, bis Gott Abhilfe schafft.
(d) Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Aufrechterhaltung der Sonntagsheiligung, entsprechend geistlich gefüllt (WB 21,8), von großem bewahrenden Wert ist und auf die (säkularisierte) Gesellschaft wie ein geschlossenes Bekenntnis der Kirche zu ihrem auferstandenen Herrn wirkt. Deshalb sagt Calvin: „Wir wollen unterdessen als allgemeine Lehre wohl beachten: damit die Frömmigkeit in uns nicht zerfalle oder erschlaffe, sollen wir die Versammlungen der Kirche fleißig besuchen und uns überhaupt um all die äußeren Hilfen recht Mühe geben, die dazu dienen, die Verehrung Gottes zu erhalten“ (Inst. II,8,34).. Dieser Ruhetag war von Anbeginn der Welt bis zur Auferstehung Christi der letzte Tag der Woche; nach der Auferstehung Christi ist er auf den ersten Tag der Woche verlegt worden; er wird in der Schrift9Der Apostel Johannes erwähnt den „Tag des Herrn“, wobei der Schluß naheliegt, daß damit der „erste Tag der Woche“ gemeint ist, was frühere Kirchenväter auch bestätigen. der Tag des Herrn genannt und soll als der christliche Feiertag bis ans Ende der Welt gehalten werden.
Artikel 21.8
Dieser Ruhetag wird dann dem Herrn heilig gehalten (HK 92; WB 13,1), wenn die Menschen, nachdem sie sich zunächst innerlich entsprechend vorbereitet und ihre alltäglichen Angelegenheiten geordnet haben, nicht nur den ganzen Tag eine heilige Ruhe von ihren eigenen Werken, Worten und Gedanken, von ihren weltlichen Beschäftigungen und Vergnügungen bewahren, sondern auch die ganze Zeit im öffentlichen und privaten Rahmen der Verehrung Gottes widmen oder in dieser Haltung mit Pflichten beschäftigt sind, die sich zwangsläufig oder durch soziale Dienste ergeben.
22. Von rechtmäßigen Eiden und Gelübden
Artikel 22.1
Ein rechtmäßiger Eid ist ein Teil der Gottesverehrung, bei dem der Betreffende aufgrund eines berechtigten Anlasses öffentlich schwört. Auf diese Weise wird Gott zum Zeugen dafür aufgerufen, was er aussagt oder bestätigt, und zum Richter darüber, ob die Wahrheit oder Unwahrheit durch den Schwur bekräftigt wird.
Artikel 22.2
Der Name Gottes allein ist es, bei dem Menschen mit heiliger Ehrfurcht schwören sollen. Deswegen ist unnötiges und übereiltes Schwören bei diesem herrlichen und furchtbaren Namen – oder überhaupt Schwören bei jedem anderen Ding – Sünde und verabscheuenswert. Doch weil unter dem Neuen ebenso wie unter dem Alten Testament durch das Wort Gottes ein Eid in wichtigen Angelegenheiten gerechtfertigt ist, sollte er auch geleistet werden, wenn er vom Staat verlangt wird.
Artikel 22.3
Jeder, der einen Eid leistet, ist verpflichtet zu bedenken, wie schwerwiegend diese öffentliche Handlung ist und dabei nichts zu bekräftigen als das, von dessen Wahrheit er völlig überzeugt ist. Auch soll sich niemand durch einen Eid an irgend etwas binden, das nicht gut oder gerecht wäre; vielmehr muß er überzeugt sein, daß es gut und gerecht ist. Dabei muß er auch die Fähigkeit und Entschlossenheit besitzen, es zu erfüllen. Doch ist es Sünde, dem Staat in einer guten und gerechten Angelegenheit einen Eid zu verweigern.
Artikel 22.4
Ein Eid sollte geleistet werden im einfachen und allgemeinen Sinn der Worte, ohne Zweideutigkeit oder inneren Vorbehalt. Er kann nicht zur Sünde verpflichten; wird er aber geleistet, ohne auf irgendeine Weise an Sünde zu binden, so verpflichtet er den Menschen, ihn auch dann zu erfüllen, wenn er zum eigenen Nachteil führt. Er darf auch dann nicht verletzt werden, wenn er solchen geleistet worden ist, die den Glauben verfälschen oder verwerfen.
Artikel 22.5
Ein Gelübde besitzt dieselbe Natur wie ein Zusageeid und sollte mit der gleichen gottesfürchtigen Sorgfalt geleistet und mit der gleichen Treue erfüllt werden.
Artikel 22.6
Es darf nicht gegenüber irgendeinem Geschöpf abgelegt werden, sondern gegenüber Gott allein. Damit er es annehmen kann, soll es freiwillig, aus Glauben und einer Gewissensverpflichtung heraus abgelegt werden, aus Dank für empfangene Barmherzigkeit oder um das zu erlangen, was wir wünschen. Auf diese Weise verpflichten wir uns ernsthafter zur Übernahme nötiger Dienste oder zu anderen Dingen, sofern und solange sie die Begründung für das Gelübde passend zum Ausdruck bringen.
Artikel 22.7
Niemand darf etwas zu tun geloben, das im Wort Gottes verboten ist oder was irgendeinen darin gebotenen Dienst verhindern würde, oder was nicht in eigener Macht steht und für dessen Erfüllung der Betreffende keine Verheißung oder Befähigung von Gott besitzt. In jeder Hinsicht sind römisch-katholische Mönchsgelübde, zu fortwährender Ehelosigkeit (Zölibat), erklärter Armut und zum Ordensgehorsam so weit davon entfernt, Grade „höherer Vollkommenheit“ zu sein, daß sie abergläubische und sündhafte Schlingen sind, in denen sich kein Christ verstricken sollte.